
Wenn jedes Wort nur Liebe ist
"Der größte Beweis der Liebe ist Vertrauen." (Joyce Brothers)

Am fünften Hochzeitstag will Clea, die eine Buchhandlung führt, endlich Nägel mit Köpfen machen und ihrem Mann Jonas – einem Arzt – unterbreiten, dass sie sich ein Kind von ihm wünscht. Doch dann kommt alles anders als erwartet. Jonas offenbart ihr, dass er schon länger nicht mehr an ihre gemeinsame Ehe glaube und eine andere Frau, die besser zu ihm passt, gefunden habe. Noch am selben Abend packt er seine Koffer und verlässt sie. Verletzt und mit sich allein versucht sie, diese Kränkung zu verdauen. Ihre schräge beste Freundin Lulu überredet sie schließlich, sich bei der Dating-App Tinder anzumelden. Clea erlebt eine Vollkatastrophe nach der anderen, bis ihr der Geduldsfaden reißt. Schluss mit allen Netzwerken! Bei strömendem Regen steigt sie auf die Brüstung der Brücke in der Stadt und wirft ihr Handy in hohem Bogen in den Fluss. Plötzlich umklammern sie von hinten zwei starke Arme. Eine tiefe Stimme erklingt und in Clea vibriert es von den Zehen bis zum Kopf. Der Fremde hält sie fest, da er denkt, dass Clea springen will. Als er merkt, dass dies nicht der Fall ist, zieht er Clea auf den Boden und löst den Griff. Groß, gut gebaut und charmant, das ist Emil und von Anfang an fühlt sie sich ihm nahe. Sie verbringen den Abend und die Nacht miteinander.Doch Emil hat ein Geheimnis und verschwindet am nächsten Morgen ...
Leserstimmen:
Liebe funktioniert auch ohne Handy, was dieses Buch beweist - eine unglaublich schöne und berührende Liebesgeschichte! (Celeste21)
Zauberhafte Romanze mit allen Höhen und Tiefen und der großen Zuversicht, dass man die wahre Liebe finden kann. (Mazerak)
Gefühlvoller Liebesroman, der sich mit den wichtigen Werten Wertschätzung und vermeintlicher Perfektionismus beschäftigt. (Kupferklümpchen)
Dieses Buch hat mich vom Hocker gehauen. Der Schreibstil von Lotte R. Wöss ist einfach grandios. Es liest sich super schnell weg und die Sätze sind ineinander stimmig, so dass ich keine Probleme beim Lesen hatte oder über irgendeine Satzstellung gestolpert bin. (Alexa-Tim)
Leseprobe
Wo blieb er nur? Ausgerechnet heute? Clea wusste, dass seine Arbeit als Chirurg Jonas sehr beanspruchte. Überstunden waren an der Tagesordnung. Aber er hatte versprochen heute pünktlich zu sein.
Er war schließlich nicht der einzige Arzt im Krankenhaus. Und an diesem besonderen Tag hätten doch die Kollegen bestimmt Verständnis.
Der Braten schmorte im Rohr, die Bratkartoffeln brutzelten in der Pfanne und der Salat wartete nur noch auf das Dressing.
Ihr Blick fiel auf den Tisch, den sie mit großer Sorgfalt gedeckt hatte. Das weiße Damasttischtuch, das sie nur zu besonderen Anlässen hervorholte, kunstvoll gefaltete Servietten und der silberne Kerzenständer in der Mitte.
Heute war ihr fünfter Hochzeitstag. Und sie wollte endlich Nägel mit Köpfen machen.
Cleas Buchladen schrieb mittlerweile schwarze Zahlen und auch Jonas hatte vor Kurzem eine Gehaltserhöhung bekommen. Seine Facharztausbildung zum Chirurgen hatte er beendet, das Krankenhaus hatte ihm eine Festanstellung angeboten. Der Zeitpunkt war so günstig wie nie zuvor.
Ihr Blick fiel, wie so oft, auf das Gemälde an der Wand. Clea hatte es auf einem Flohmarkt gekauft, der Künstler war unbekannt, aber es war im Stil von Claude Monet gemalt. Es zeigte eine Familie beim Picknick. Ein Paar saß auf einer Decke in der Wiese, sie hielten ein Kleinkind auf dem Schoß, zwei weitere Kinder spielten davor mit einer Katze. Rundum waren Blumen und so strahlte das Bild Fröhlichkeit und Sorglosigkeit aus. Aber am meisten berührte Clea der innige Blick, in den das Paar versunken schien.
Eine wundervoll glückliche Familie. Das war auch ihr Wunsch.
Es war genau der richtige Zeitpunkt für ein Kind. Nach der Hochzeit hatten sie beschlossen, noch zu warten. Mit neunundzwanzig erschien es ihr schließlich passend, eine Familie zu gründen. Wann, wenn nicht jetzt?
Endlich hörte sie, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Eine ganze Stunde zu spät. Aber sie würde sich zusammenreißen, ihm keine Vorwürfe machen, nicht heute. Rasch zündete sie die Kerzen an.
Wie vertraut die Geräusche waren! Das Aufhängen der Jacke, das Klappern der Schuhe und schließlich das Öffnen der Tür.
Clea drehte sich zu ihm um und ihr strahlendes Lächeln schwand von ihren Lippen. Jonas starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die so liebevoll arrangierte Szene.
Freude sah anders aus. Enttäuschung kroch in ihr hoch. Sie versuchte sich dennoch, nichts anmerken zu lassen.
»Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Tag?«
Er holte Luft. »Wir hatten eben noch zwei Notoperationen, ein Verkehrsunfall.« Fahrig fuhr er sich durch die Haare, auch eine Geste, die ihr vertraut war. »Ich bin hundemüde.«
»Deine Kollegen hätten einspringen können,« rutschte es ihr nun doch beleidigt heraus. »Gerade an so einem Tag.«
Jonas trat vorsichtig näher. Dann tippte er sich an die Stirn. »Oh Gott, ist heute der Vierte? Unser Hochzeitstag.«
»Du bist nicht der erste Mann, der ihn vergisst.« Clea fand zu einem bemüht lockeren und fröhlichen Ton zurück, obwohl ihr Hals eng wurde. Auf keinen Fall wollte sie Streit. »Du siehst echt erschöpft aus. Setz dich doch. Was möchtest du trinken?«
Zwei Notoperationen, sein Arbeitsalltag war wirklich anstrengend. Dafür musste sie Verständnis haben. Sie würde ihn einfach aufmuntern. Das war ihr bereits oft gelungen.
Und danach wollte sie das Thema behutsam auf ihren Wunsch lenken. Sie hoffte so sehr, dass es auch seiner wäre.
Ein Baby. Es wurde Zeit, eine Familie zu gründen.
Er ließ sich auf den Stuhl plumpsen, lehnte sich zurück, räusperte sich. »Es tut mir leid, ich habe bereits gegessen.«
Was? Der Kloß im Hals wurde größer. »Aber?« Ihr Blick wanderte vom sorgfältig gedeckten Tisch zur Küche, wo das mühevoll zubereitete Essen schon lange über der Zeit im Backrohr war.
»Es stört mich nicht, wenn du isst.« Er stand auf und holte die Whiskyflasche aus dem Barschrank. »Tut mir leid, aber Unfälle passieren immer unpassend. Ich konnte die Kollegen nicht im Stich lassen, da wird jede Hand gebraucht. Wir haben parallel in vier Operationssälen gearbeitet. Und danach haben wir uns etwas vom Pizzadienst bringen lassen.«
Tränen brannten unter ihren Lidern. Er hatte es vorgezogen, Pizza aus einem Pappkarton zu essen, anstatt heimzukommen, und mit ihr zu essen. Verschwommen sah sie, wie Jonas sich ein Glas Whisky einschenkte, die Flasche wieder verschloss und zurückstellte.
»Aber ich habe dich doch gebeten, heute früher zu kommen, du hast es extra versprochen.« Es brach aus ihr heraus, noch bevor sie es zurückhalten konnte. Sie schämte sich dafür, denn es klang sogar in ihren eigenen Ohren vorwurfsvoll und nörgelnd.
»Ich hab’s vergessen, okay? Jetzt bin ich ja da.« Er kam zurück und setzte sich wieder. »Also gut, es tut mir leid. Mach doch bitte kein Drama draus.«
»Magst du wenigstens einen Teller Suppe?«
Er nahm einen ordentlichen Schluck aus dem Glas und nickte. »Ein paar Löffel schaffe ich bestimmt noch, wenn dir so viel dran liegt.«
Toll. Ihre stundenlangen Bemühungen in der Küche waren umsonst gewesen. Jonas musste sich einfach dazu überwinden, noch ›ein paar Löffel zu schaffen‹.
Sie eilte in die Küche und richtete an. Karottencremesuppe mit Ingwer, seine Lieblingssuppe. Sie streute rasch etwas Kräuter und die gerösteten Brotkrumen darüber. Ihre Hände zitterten, während sie die gefüllten Teller zum Tisch trug.
Jonas griff zum Löffel und aß schweigend. Die Spannung in der Luft war nicht zu leugnen und schnürte ihr die Kehle zu. So hatte sie sich den Abend nicht vorgestellt.
Fieberhaft suchte sie ein unverfängliches Thema, als Jonas plötzlich den Löffel in den Teller fallenließ. Es klirrte unangenehm in ihren Ohren.
»Ich kann das nicht mehr.« Seit wann klang seine Stimme so rau? »Clea, du hast es doch auch bemerkt, oder nicht?« Jonas’ Augen glitzerten im Kerzenschein fast schwarz, obwohl sie eigentlich blau waren.
Warum dachte sie jetzt an sowas? Was wollte er ihr sagen? »Was meinst du?«
»Wir haben uns auseinandergelebt. Schon lange. Du lebst in einer eigenen Welt mit deinen Büchern und willst gar nicht am wirklichen Leben teilhaben, du blendest die Realität einfach aus.«
Clea spürte eine Gänsehaut, ein kalter Schauer, der sich am Hinterkopf bildete und über ihren gesamten Körper ausbreitete. »Ich verstehe nicht.«
»Natürlich nicht.« Er nahm seine Serviette vom Schoß und warf sie auf den Tisch, der äußere Zipfel landete im Rest der Suppe. »Du hast keine Ahnung, wie schwer mein Beruf ist. Ich habe täglich Verletzte vor mir liegen, Sterbende oder Menschen, die nur um ein Haar davonkommen. Der Druck auf uns ist enorm. Aber du willst davon gar nichts wissen.«
Clea beobachtete, wie sich die Serviette langsam vollsog und orange verfärbte.
»Du träumst den ganzen Tag. Deine Welt ist rosarot oder bunt, was weiß ich, aber da draußen, da sieht es anders aus.«
Was redete er da?
»Ich habe dich immer gefragt, wie dein Tag war.« Sie sah zu ihm hoch und fühlte sich klein dabei. »Du bist es, der nie etwas erzählt hat.«
»Was hätte ich auch mit dir reden sollen?«
»Ich weiß, dass du als Herzspezialist sehr gefragt bist.« Medizinisch war er beim Organ Herz eine Koryphäe, mit ihrem Herz dagegen spielte er Ping Pong.
Er fuhr sich durch die Haare. »Du hast von Medizin keine Ahnung. Dass ich aushilfsweise für diese Woche auf der Unfallchirurgie eingeteilt bin, das hast du nicht einmal mitbekommen. Wenn ich dir sage, dass ich heute eine Tibiakopffraktur operiert habe, dann guckst du nur blöd.«
Ihre Welt zersplitterte in Millionen Glasscherben, als ihr Tränen in die Augen traten. »Das ist unfair. Ich habe nicht Medizin studiert. Aber ich weiß, was du für einen schweren Job hast.«
»Im Grunde genommen, hat es dich nie interessiert, was ich tue. Du lebst in deinen Büchern. Ich brauche jemanden, der meine Probleme versteht, ich muss meinen Ballast abladen können. Natalie,« er brach ab und drehte sich um.
»Natalie?« Es brannte überall. Millionen Nadelstiche über den Körper verteilt.
»Es tut mir leid.« Er setzte sich vor sie und nahm ihre Hände. »Ich muss endlich reinen Tisch machen. Natalie hat es nicht verdient, dass sie im Geheimen bleibt. Ich kann mit ihr alles teilen, wir reden stundenlang und sie versteht es. Sie ist selbst Ärztin.«
Clea entzog ihm die Hände. Sie saß da und wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Ich bin froh, dass du keine Szene machst.« Jonas erhob sich wieder und sah auf die Uhr. »Dann werde ich am besten gleich packen.«
Gerne hätte sie ihn angebrüllt, mit Händen auf ihn eingeschlagen, stattdessen blieb sie sitzen, als wäre sie versteinert. Durch den Schleier aus Tränen sah sie auf den gedeckten Tisch, ihre unberührte Karottensuppe und die flackernden Kerzen. War das gerade wirklich passiert? Über dem Teller von Jonas lag die orange vollgesogene Serviette.
Sie verbarg das Gesicht in den Händen. Nach Minuten - oder waren es Stunden? – , hörte sie seine Stimme an ihrem Ohr. »Es tut mir sehr leid, Clea. Aber du solltest wieder mehr auf dich achten.« Jonas stand mit einem Rollkoffer in der Tür, eine Tasche umgehängt. »Lass dich nicht so gehen und mach ein bisschen mehr aus dir. Wann warst du das letzte Mal beim Friseur? Du siehst aus wie meine ehemalige Deutschlehrerin, die alte Ziege.« Er schüttelte den Kopf. »Also, mach’s gut. Den Rest hole ich im Laufe der Woche.«
Er verschwand durch die Tür und es fühlte sich an, als wäre sie in der Mitte entzweigebrochen.